Die juristische Perspektive ist wohl selten die erste, die wir zum Ukraine-Krieg einnehmen – sondern eine moralische. Andererseits: Ein funktionierendes Recht ist doch nichts anderes als die Durchsetzung moralischer Maßstäbe, oder? Ist ein Angriffskrieg mit der Absicht, eigenes Staatsgebiet zu erweitern, eigentlich juristisch „verboten“? Und wenn ja, nach welchem Recht? Wie heißt dieses Recht, für wen gilt es, steht es irgendwo geschrieben oder ist es nur „Gewohnheitsrecht“?

In die ebenso interessante wie schwierige Welt des Völkerrechts entführte die zahlreichen Gäste am 22.8. in der LFS der Völkerrechtler Prof. Claus Kreß. Kreß lehrt an der Uni Köln und vertritt zugleich als Ad-hoc-Richter des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag Völkerrecht ganz konkret.

Zwar warnte Kreß am Anfang sein Auditorium, er werde dessen Konzentration und Geduld wohl nicht wenig in Anspruch nehmen, aber das war unnötig. Denn sein eloquenter, spannender und wohlstrukturierter Vortrag, jeder Satz druckreif, ließ die Zuhörer keinen Moment los. Dabei wurde deutlich, dass das internationale Recht, anders als das nationale, ein höchst fragiles und in der Geschichte immer wieder gefährdetes Recht ist. Es hängt ab von der Durchsetzungsfähigkeit und -bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, und es ist stets bedroht von der reinen Macht der Fakten. Prof. Kreß’ Vortrag war letzten Endes ein überzeugender Appell, dem Völkerrecht souveräner Staaten einen langen Atem zuzutrauen und es nie achselzuckend aufzugeben, auch wenn es – wie gerade im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – aktuell nicht durchsetzbar sei.

Im Anschluss an seinen Vortrag nahm sich Prof. Kreß noch Zeit, Fragen der lebhaft interessierten Schülerinnen und Schüler zu beantworten.

Dank gebührt Herrn Ohagen, der seinen „beharrlichen Charme“ (Zitat Kreß) erfolgreich einsetzte, um einen faszinierenden Referenten in unsere Schule zu locken.